Nicht nur durch äußere Reize wie Bilder oder Geräusche können Emotionen ausgelöst werden, auch beim Betrachten eines anderen Individuums können Empfindungen im eigenen Körper gespürt werden. Hierbei handelt es sich um die sogenannte emotionale Ansteckung, welche eng mit der Fähigkeit zur Empathie verknüpft ist. Dieses Sicheinfühlen in ein anderes Individuum beinhaltet aber noch eine weitere Komponente, die Unterscheidung, ob die spürbare Emotionen ihren Ursprung in einem selbst oder im anderen hat. Ein effektives soziales Funktionieren erfordert die Fähigkeit, den eigenen emotionalen Zustand von dem anderer zu unterscheiden, erst dann spricht man von einer Fähigkeit zur Empathie. Erwachsene seien laut einer experimentellen Studie eher in der Lage als Kinder, Emotionen als eigen oder fremd zu erkennen.[1]
Emotionen sind zwar Automatismen eines Individuums, die jedoch in Verbindung mit der sozialen Welt stehen. Emotionen stellen darüber hinaus eine integrative Funktion zwischen den beiden Antagonismen bewusster Geist und Automatismus dar. Man nimmt an, dass die ursprüngliche Funktion der Emotionen das Kommunikationssystem betrifft, welches in jungen Jahren durch Mimikry mit der Umgebung und emotionale Ansteckung geprägt wird. Dieses emotionale System ist völlig abhängig von der Umwelt. Es kann als Werkzeug angesehen werden, um sich mit der Umgebung abzustimmen. Geistige und motorische Anpassungsreaktionen würden so die notwendige Plastizität für die Entstehung von Bewusstsein ermöglichen.[2]
Menschen können emotionale Zustände anderer erleben und diese verkörperten Reaktionen nutzen, um das Verhalten in komplexen sozialen Interaktionen zu verstehen und vorherzusagen. Dem Körper des Beobachters kommt dabei eine besondere Rolle zu, da er ihn für diese komplexen sozialen Aufgaben wie Imitation oder der Perspektivenübernahme braucht.[3]
Emotionale Ansteckung und das sich Einfühlen in ein Gegenüber kommt bei zahlreichen Säugetieren und auch bei Vögeln vor. Ein möglicher Nutzen liegt in der Weitergabe von Informationen, wodurch ein Schutz vor Raubtieren optimiert wird. Zudem erleichtert es das Gruppenleben. Bei einer Vielzahl von Arten wurde die emotionale Ansteckung bereits beobachtet. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Nachahmung eines bestimmten Verhaltens nicht notwendigerweise die Ansteckung einer entsprechenden Emotion impliziert. Eine Emotion wird sowohl durch ihr Erregungsniveau als auch durch ihre positive oder negative Valenz (Bewertung) definiert. Schwankungen der Herzfrequenz zu messen ist demnach nicht aureichend informativ für einen Wissenschaftler. Gleichzeitig müssen immer noch die Änderungen im Verhalten miteinbezogen werden. Beim Menschen können noch die kognitiven Komponenten berücksichtigt werden, das subjektive Gefühl, deren Messung bei nichtmenschlichen Tieren derzeit als schwierig bis unmöglich angesehen wird. Dementsprechend hat sich die Mehrheit der Tierforschung auf objektiv messbare Komponenten konzentriert, um das Vorhandensein und die Art eines emotionalen Zustands festzustellen. Die Bewegungsaktivität ist beispielsweise eines der direktesten, nicht-invasiven Verhaltensmaße für emotionale Ausdrücke, daß heisst, ob Tiere sich einem Reiz nähern oder ihn meiden, kann uns über die belohnenden oder nicht belohnenden Qualitäten dieses Reizes informieren und somit seine positiven oder negativen Eigenschaften annehmen. Tiere neigen jedoch dazu, Variationen in der Art und Weise zu zeigen, wie sie auf Umweltmanipulationen reagieren, was man ihren Persönlichkeiten zuschreibt. So unterscheiden sich Individuen einer Art in ihrer Wachsamkeit gegenüber bedrohlichen Reizen, ihrer Motivation, neue Kontexte zu erforschen, oder ihrem Aktivitätsniveau im Allgemeinen. Wenn wir also nur eine (Verhaltens-)Komponente statt eines größeren Sets messen, schränken wir unsere Interpretationen des jeweiligen emotionalen Zustands ein und verwechseln sie möglicherweise. Aus diesem Grund ist es wertvoll, die Bemühungen zu erweitern, um eine Sammlung von mehreren Komponenten zu untersuchen, die von Verhaltensweisen wie umgelenktes Verhalten, visuelle Orientierung, Aktivitätsniveau oder Körperhaltung bis hin zu Vokalisationen und, wenn möglich, Messungen physiologischer Parameter reichen.[4]
Die Übertragung von Emotionen entsteht aber auch speziesübergreifend. Da sie insbesondere bei Mitgliedern der sozialen Gruppe oder bei Individuuen mit starker sozialer Bindung entsteht, liegt nahe, dass dies auch zwischen Tier und Mensch in enger Beziehung möglich ist. Das diesbezüglich meist untersuchte Tier ist der Hund (Canis familiaris), eine der ältesten domestizierten Arten. Durch ihre Koexistenz mit dem Menschn über mehr als 30.000 Jahre sind sie als Bindungspartner eng in die menschliche Gesellschaft eingeflochten. Sie haben menschenähnliche Kommunikationsfähigkeiten und, wahrscheinlich als Ergebnis des Domestizierungsprozesses, die Fähigkeit erworben, menschliche Emotionen zu lesen. In einer Studie bewertete man die emotionalen Reaktionen von Hunden und Menschen anhand der Herzfrequenzvariabilität unter einer psychologischen Stressbedingung des Halters. Die Korrelationskoeffizienten der Herzschlagintervalle zwischen Hunden und Besitzern waren positiv mit der Dauer des Hundebesitzes korreliert. Das Geschlecht der Hunde beeinflusste dies ebenso. Weibliche Tiere zeigten stärkere Werte. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die emotionale Ansteckung vom Besitzer auf den Hund vor allem bei Hündinnen auftreten kann und dass die Zeit, in der sie die gleiche Umgebung teilen, der Schlüsselfaktor für die Wirksamkeit der emotionalen Ansteckung ist. Der Effekt der emotionalen Ansteckung zwischen Hundehalter und seinem Beglieter scheint umso ausgeprägter zu sein, je länger ein Hund in Gemeinschaft mit einem Halter lebt.[5]
Äußerst bemerkenswerte Erkenntnisse zeigte eine Studie über die Auswirkungen der emotionalen Ansteckung zwischen Hund und Mensch im therapeutsichen Setting. Studienteilnehmer waren Menschen mit ausgeprägten posttraumatischen Belastungssymptomen (PTSD), zu deren Symptomen Wiedererleben von traumatischen Ereignissen, Vermeiden, Übererregung und kognitive Defizite gehörten, die sich sowohl in emotionalen als auch in kognitiven Dysregulationen widerspiegeln. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass nicht-pharmakologische Ansätze und insbesondere die tiergestützte Therapie bei einer Reihe von Störungen wie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, der Autismus-Spektrum-Störung und der PTBS hilfreich sind. Die aktuelle Studie betrachtete in diesem Zusammenhang die wechselseitigen Auswirkungen der Interaktion zwischen Tier und Mensch, ein Aspekt mit derzeit noch schwachem Fokus der Wissenschaft.
In der Studie führten die menschlichen Teilnehmer, welcher unter den posttraumatischen Symptomen litten, ein 12-monatiges Training mit Hunden durch. Dabei handelte es sich um klassische Übungen aus dem Hundetraining. Die Menschen beschäftigten sich demnach fokussiert und intensiv damit, Hunden etwas beizubringen. Als Nebeneffekt dieser simplen, aber konzentrationsbedüftigen Aufgabe gemeinsam mit einem Tier, erhoffte man sich eine Besserung der psychologischen Symptome der Menschen.
7 Rüden und 5 Hündinnen der Rasse Malinois und Deutscher Schäferhund im Alter von 1,4 ± 0,5 Jahre nahmen Teil. Sie hatten keine Vorerfahrungen im Hundetraining.
Jeweils 2-3 Teilnehmer trainierten einen bestimmten Hund. Die Erstausbildung der Hunde wurde von professionellen Hundetrainern durchgeführt. Nach Erlernen der Grundlagen des Umgangs mit Hunden erhielten die Teilnehmer im Laufe des Jahres schrittweise mehr Verantwortung. Sie waren zunächst für die Versorgung zuständig, später durften sie Spazieren gehen und dann 3-5 Mal pro Woche für jeweils 3 Stunden ein Verhaltenstraining durchführen. Jede Interaktion mit einem Hund an einem bestimmten Arbeitstag wurde von einem einzelnen Teammitglied durchgeführt, während andere Teammitglieder und ein Ausbilder sie beobachteten. Die Teilnehmer lernten die Grundsätze der Hundeausbildung, die klassische und operante Konditionierung, die Wirksamkeit verschiedener Verstärkungspläne und ethische Richtlinien für die Behandlung und Ausbildung von Hunden. Zu den grundlegenden Disziplinierungsübungen mit den Hunden gehört das Reagieren auf verbale Befehle unter Verwendung eines Anreizes mit positiver Verstärkung, wie z. B. Futter oder ein Trainingsball, je nach den individuellen Vorlieben der Hunde. Die Teilnehmer lernten auch, sich mit verschiedenen Hundetrainingsmethoden vertraut zu machen, wie z. B. dem Einsatz eines Clickers, verschiedenen Arten von Verstärkungen und Führungsstilen. Negative Rückmeldungen durften bei Bedarf verbal ("Bad Boy") und nur mit Zustimmung der Ausbilder gegeben werden. Der Einsatz von nonverbalen Strafen war verboten.
Die Kontrollgruppe erhielt ebenfalls nicht-pharmakologische Interventionen, aber ohne Tiertraining. Zu den Methoden zählten Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) , traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie und weitere Methoden, welche nachweislich PTBS-Symptome reduzieren.
Nach einem Jahr zeigten sich deutliche Besserungen der PTBS-Symptome bei gleichzeitiger Verringerung des Schweregrades von depressiven Symptomen in der Hundetrainingsgruppe. In der Kontrollgruppe traten hingegen nur unbedeutende Besserung auf. In der Hundetrainingsgruppe wurde zudem eine verbesserte Emotions- und Aufmerksamkeitsregulation festgestellt. Es zeigten sich demnach signifikante positive Auswirkungen des Hundetrainings.
Was die Studie jedoch von anderen hervorhebt ist, dass im Anschluss an die Beobachtung der positiven Effekte bei den Probanden des Hundetrainingsprogramms nach den zugrunde liegenden Mechanismus dieser Effekte gesucht wurde. Die Interaktion mit den Hunden rückte in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang wurden auch die Auswirkungen des Trainings auf die Hunde betrachtet, mit bemerkenswerten Erkenntnissen. Die emotionalen und aufmerksamkeitsbezogenen Leistungen der Hunde maß man mittels computergestützter objektiver Verfahren, welche verschiedene Verhaltensweisen der Hunde wie Angst und selektive Aufmerksamkeit bewerteten. Auffallend zeigte sich eine negative Auswirkung auf die Leistung der Hunde. Ihr angstähnliches Verhalten nahm zu und ihre Fähigkeit zur selektiven Aufmerksamkeit nahm ab.
Somit hatte das einjährige Hundetraining mit den PTBS-Studienteilnehmern positive Auswirkungen auf die Menschen bei negativen Auswirkungen auf die Hunde. Die Wissenschaftler postulierten dass der negative Effekt auf die Hunde durch die Interaktion zwischen Hund und Halter zustande gekommen sei. Dabei stellten sie jedoch die Frage, ob es an der Art der Interaktion lag oder an der im Programm angewandten Trainingsmethode.[6]
Nehmen wir nun an, dass die emotionale Ansteckung weitreichende Bedeutung für unser Miteinander hat, ob innerhalb einer Spezies oder speziesübergreifend, so ist es notwendig den Aspekt der Empathie nochmal aufzugreifen. Diese wird nämlich als eine grundlegende Kraft der Moral angesehen. Empathie ist ein Phänomen, welches tiefgreifende Auswirkungen auf verschiedenen Bereiche des sozialen Miteinanders hat, sei es zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Tier. Dabei ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Empathie, welche auf der Grundlage der emotionalen Ansteckung entsteht, nicht primär genetisch veranlagt ist. Sie kann sowohl er- als auch verlernt werden. Ihre Wurzeln sind nicht so fest, wie wir gerne glauben. Der Anpassungsmechanismus, welcher Empathie von Mitleid, Neid, Schadenfreude und Sadismus unterscheidet, ist ein Produkt des Lernens. Forschungen legen nahe, dass der Mechanismus der Empathie, die emotionale Ansteckung, im Laufe der Entwicklung durch soziale Interaktion konstruiert wird. Erlerntes Matching impliziert, dass Empathie sowohl beweglich als auch zerbrechlich ist. Sie kann durch neue Erfahrungen verstärkt und umgelenkt werden, und durch soziale Veränderungen gebrochen werden.[7]
[1] Vgl. Sachs et al.(2019) Echoing the emotions of others: empathy is related to how adults and children map emotion onto the body, Cogn Emot 33(8):1639-1654.
[2] Vgl. Santiago Delefosse (2000) Actuality of Wallon's emotional model: toward a "body-psychosocial" model of emotions, Encephale 26(1):8-20.
[3] Vgl. Sel et al. (2020) The somatotopy of observed emotions, Cortex 129:11-22.
[4] Vgl. Adriaense et al. (2019) Negative emotional contagion and cognitive bias in common ravens (Corvus corax), Proc Natl Acad Sci U S A 116(23):11547-11552.
[5] Vgl. Katayama et al. (2019) Emotional Contagion From Humans to Dogs Is Facilitated by Duration of Ownership, Front Psychol 10:1678.
[6] Vgl. Maoz et al. (2021) Dog training alleviates PTSD symptomatology by emotional and attentional regulation, 12(1):1995264.
[7] Vgl. Heyes (2018) Empathy is not in our genes, Neuroscience & Biobehavioral Reviews 95:499-507.
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