Wie beruhigt man Tiere nach aktuellem Stand der Wissenschaft? Nehmen wir als Beispiel Empfehlungen für den beruhigenden Umgang in Tierarztpraxen, da dieser Ort für viele Tiere und auch Menschen mit Stress verbunden wird. Aufgrund der Notwendigkeit bei manchen Untersuchungen und Eingriffen, Tiere zu fixieren, besteht hier besonders Bedarf an hilfreichen Maßnahmen.
In der Regel zielen die Methoden nicht auf ein aktives Beruhigen ab, sondern auf die indirekte Wirkung durch das Minimieren von Stress. Dies fängt auch nicht direkt beim Tier, sondern bei der Gestaltung des Umfeldes an.
Eine Tierarztpraxis hat auf ihre Patienten eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Aus der Sicht eines Hundes kann der Empfangsbereich bedrohlich wirken, wenn er auf dem Weg zur Anmeldung durch eine Schar wartender Hunde laufen muss, die vielleicht knurren oder schnüffeln. Die Situation ist nicht einzuschätzen, die anderen Tiere unbekannt und die Angst eines anderen Hundes mag sich vielleicht übertragen. Hinzu kommt, dass die Warteräume meist eng sind, wodurch ein Ausweichen schwer möglich ist. Idealerweise führt eine Entzerrung des zeitlichen Ablaufs durch Terminvergaben, separate Eingänge, Gestaltung der Sitzbereiche und möglichst viel Platz zum Ausweichen zu einer Beruhigung der Tiere. Das Wartezimmer kann außerdem in mehrere separate Bereiche geteilt werden. Für Katzen eignen sich von Hunden getrennte Räume. Außerdem bevorzugen Katzen erhöhte Plätze. Sie fühlen sich sicherer, wenn sie den Raum überblicken können, weshalb eine katzenfreundliche Praxis kleine Tische für die Transportboxen anbietet. Zur Gestaltung der Praxisräume gehört auch, auf die empfindsamen Sinnesorgane der Tiere Rücksicht zu nehmen. Laute Stimmen und metallisches Scheppern sowie rutschige Böden stressen Tiere. Hingegen wirkt es beruhigend, wenn das Personal sich ruhig verhält, Metall gedämpft wird oder vorsichtig damit umgegangen wird und Böden durch rutschfeste und trotzdem hygienisch zu reinigende Unterlagen angenehmen Halt bieten. Auch eine zu dimmende Beleuchtung kann beruhigend auf Tiere wirken. Die Gerüche gestresster Tiere, welche zuvor im Behandlungsraum waren, sind möglicherweise für das nachfolgende Tier gut wahrnehmbar. Daher sollten die benutzten Bereiche gründlich gereinigt und desinfiziert werden. Damit aber auch die Reiniger nicht zu sehr geruchlich belasten, ist zu warten, bis diese verdampft sind. Der Einsatz von künstlichen beruhigenden Pheromonverdampfern hat sich in Kleintierpraxen bewährt.[1]
Sind die Räume so gestaltet, dass ein Tier sich dort entspannen kann, kommt es als nächstes auf den Umgang an! Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist der Faktor Zeit! Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung ist die Kenntnis der Körpersprache der Tiere sowie, nicht zu unterschätzen, die Wahrnehmung der eigenen Körpersprache! Der eigene Körper kann dann gezielt eingesetzt werden. Menschen tendieren, vermutlich aufgrund ihrer Abstammung von Primaten, dazu, direkt auf ein Tier zuzugehen, zu einem Halten des Blickkontaktes und zu einem Streicheln von Oben. All dies wirkt auf viele Tiere bedrohlich. Ein direktes in die Augen Starren und sei es nur beobachtend, empfinden Hunde und Katzen oft unangenehm und sollte daher vermieden werden. Beruhigend hingegen wirkt es, wenn der Blick neben das Auge des Tieres fällt.
Ethologische Kenntnisse sind das Wissen um die Körpersprache der einzelnen Tierarten. Dies ist unabdingbar, um das Verhalten rasch einordnen zu können. Nur so können Unfälle, welche durch Unkenntnis über den Ausdruck von Angst oder Aggression entstehen, vermieden werden. Nur wenn Emotionen bei Tieren richtig erkannt werden, kann auch angemessen auf sie eingegangen werden. So können Tier durch die Vermeidung von unnötigem Stress indirekt beruhigt werden.[2]
In Tierarztpraxen ist es häufig unabdingbar, Tiere zu fixieren, also festzuhalten. Dies sollte jedoch auf das notwendige Mindestmaß reduziert werden, da es die Tiere in der Regel stresst. Weniger Anfassen beruhigt somit Tiere indirekt. Ein automatischer Nackengriff bei einer Katze, sobald sie auf dem Behandlungstisch sitzt, ist zu unterlassen. Vorher ist anhand der Beobachtung der Körpersignale abzuwägen, wie fluchtbereit das Tier ist. Anstatt eines Nackengriffs kann sanft die Hand auf dem Tier ruhen. Auch ein locker oder professionell gewickeltes Handtuch fixiert und beruhigt zugleich, da es ein schützendes Gefühl vermitteln kann.[3]
Der Tierhalter hat ebenfalls die Möglichkeit, sein Tier zu beruhigen. Er kann es auf tierärztliche Behandlungsmethoden, auf das Festhalten, auf Geräusche oder an Gerüche gewöhnen. Die Beruhigung geschieht auch wieder indirekt durch die Reduktion von Stress. Hierbei wird in der Regel auf Elemente des Verhaltenstrainings zurückgegriffen. Mittels Gegenkonditionieren nimmt das Gefühl der Bedrohung für eine Situation oder einen Reiz ab, besonders wenn er mit etwas angenehmen wie Futter verbunden wird. Desweiteren lohnt es sich bereits Jungtiere an Praxisräume und Untersuchungen zu gewöhnen. Manche Tierarztpraxen bieten Katzen- oder Hundewelpen Spielstunden an. Ein besonders Verhaltenstraining, welches Halter mit ihren Tieren üben können, ist das Medical Training. Hier werden basierend auf Verhaltenstraining mit positiver Verstärkung bestimmte Untersuchungen simuliert. Bei Tieren, welche bereits starke Angst oder Aggression auf Behandlungen zeigen, wird empfohlen, nicht direkt mit dem Medical Training zu beginnen, sondern vorher einen Verhaltenstierarzt zu konsultieren. Das Verhalten wird dann genau analysiert und in kleinen Schritten passende Übungen genau angeleitet.[4]
Für Großtierarztpraxen gelten ähnliche oder adaptierte Gestaltungsrahmen des Umfeldes. Lautes Reden und klapperndes Metall sowie grelles Licht sollten reduziert werden. Auch der Ort, an dem untersucht wird, spielt eine Rolle. Sind andere Tiere anwesend? Wirken sie eher beruhigend oder stressend?
Für Halter von Großtieren wie Pferden gibt es ebenfalls die Möglichkeit, durch Medical Training das Tier auf tierärztliche Behandlungen oder auf Pflegemaßnahmen wie Hufschmied oder Hufpfleger vorzubereiten.[5]
Kenntnisse über Lerntheorien und Trainingsmethoden, welche die positive Verstärkung nutzen, sind Grundlagen des Medical Trainings. Sie können Vielfältig eingesetzt oder adaptiert werden. Seinen Ursprung hat das Medical Training, welches für Hunde, Katzen, Heimtiere oder Pferde gelehrt wird, in der Zootierpflege. Hier nutz man es vor allem für Pflegemaßnahmen und tierärztliche Behandlungen. Durch das Reduzieren von Stress während solcher Behandlungen, trägt Medical Training zur Beruhigung von Tieren im Umgang mit Menschen bei. Durch Verhaltenstraining ist es auch möglich aktiv das Entspannen zu üben, indem dieses positiv verstärkt wird.[6]
Auch Tierheime bieten viele Gelegenheiten für Stress. Daher ist es auch hier wichtig, das Umfeld sowie den Umgang so beruhigend wie möglich zu gestalten. Hier kommen dieselben Prinzipien wie in Tierarztpraxen zu trage, um Tiere zu beruhigen. Wichtig ist hier vor allem die Schulung des Personals und der Tierpfleger im Verhalten und Ausdruck von Tieren sowie im stressarmen Umgang mit ihren. Aber auch die Gestaltung der Räumlichkeiten und eine Anreicherung mit Spiel- und Versteckmöglichkeiten beruhigt Hunde, Katzen und andere Tierheimbewohner.[7]
Heutzutage gibt es Fachbücher und verhaltenstiermedizinische Empfehlungen sowohl für die Gestaltung der Umgebung, in der Tiere behandelt werden oder wo sich aufhalten. Dem Wissen über das Tierverhalten kommt eine große Bedeutung zu, um rechtzeitig und korrekt das Befinden von Tieren zu beurteilen. Es werden somit anhand der Beobachtung von Mimik, Körpersprache und Verhalten auf die Emotionen der Tiere geschlossen. Manchmal wird versucht, unerwünschte Verhaltensweisen umzuformen. Dies geschieht durch die Anpassung des Umgangs oder durch Elemente aus dem Verhaltenstraining mit positiver Verstärkung. Während Emotionen wie Angst und Aggression ein großer Themenbereich in allen Verhaltensfachbüchern sind und auch darauf hingewiesen wird, dass die eigene Körpersprache und ein ruhiger Umgang förderlich sind, unerwünschte Emotionen nicht zu verstärken, wird der Effekt der Emotionsübertragung zwischen Mensch und Tier in keinem Standardwerk fokussiert. Man erkennt zwar an, dass Tiere durch die Pheromone andere Tiere in ihren Emotionen beeinflusst werden. Doch auf die Wirkung der Emotionen von Menschen auf Tiere und andersherum geht kein Fachbuch näher ein, geschweige denn wird auf Möglichkeiten zu deren Veränderung hingewiesen. Hier besteht eindeutig Bedarf, einen weiteren Bereich in den beruhigenden Umgang mit Tieren aufzunehmen.
[1] Vgl. Schneider, Döring und Ketter (2018) Kleintiere stressarm behandeln, S. 13-18, vgl. auch Linn (2009) Low stress handling, restrain and behavior modification of dogs and cats, S. 141-147, vgl. auch Rodan und Heath (2016) Feline behavioral health and welfare, S. 102-111
[2] Vgl. Schneider, Döring und Ketter (2018) Kleintiere stressarm behandeln, S. 19-20, vgl. auch Linn (2009) Low stress handling, restrain and behavior modification of dogs and cats, S. 31-52, vgl. auch Rodan und Heath (2016) Feline behavioral health and welfare, S. 114
[3] Vgl. Schneider, Döring und Ketter (2018) Kleintiere stressarm behandeln, S. 19-20, vgl. auch Linn (2009) Low stress handling, restrain and behavior modification of dogs and cats, S. 191-299, vgl. auch Rodan und Heath (2016) Feline behavioral health and welfare, S. 116-120
[4] Vgl. Schneider, Döring und Ketter (2018) Kleintiere stressarm behandeln, S. 20-24, vgl. auch Linn (2009) Low stress handling, restrain and behavior modification of dogs and cats, S. 407-433
[5] Vgl. Steigerwald (2021) Medical Training für Pferde: Entspannt bei Tierarzt, Hufschmied & Co
[6] Vgl. Zeligs (2014) Animal Training 101: The Complete and Practical Guide to the Art and Science of Behavior Modification
[7] Vgl. Weiss, Mohan-Gibbons und Zawistowski (2015) Animal behavior for shelter veterinarians and stuff, S. 5-247
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