Kapitel 1: Warten

Veröffentlicht am 15. September 2024 um 23:16

Herr Eichel saß auf seinem Ast, auf dem er jeden Morgen die kräuterreiche Wiese auf Leckereien absuchte. Im Schutze des Baumes fühlte er sich sicher und ragte den Kopf weiter hervor. Wo war nur das Mädchen, was die letzten Tage die leckeren Erdnüsse vorbei brachte? Herr Eichel beschloss, noch ein wenig zu warten, solange eben, wie sein hungriger Vogelmagen es zuließ.

"Für die Dinge, bei denen wir Gewissheit haben wollen, brauchen wir Evidenz." Das Laub raschelte bei jedem Schritt. Die Stille war jäh unterbrochen. Disharmonie mischte sich ein in das sanfte Geräusch der hängenden Blätter, die an den Ästen vom Wind hin und her gewiegt wurde. 

"Unumstößliche Fakten können wir nur durch hochwertige Forschung herausfinden. Alles andere ist Glaube.", untermalte die filigrane Hand und der Mann schritt entschieden voran. Neben ihm, oder eher unter ihm, versuchte eine kleine, eher rundliche Gestalt Schritt zu halten. "Und wenn man noch keine Evidenz für etwas hat?" Der große schlanke Mantel blieb abrupt stehen.

Herr Eichel neigte den Kopf schief und strecke seinen Hals. "Dann kann es natürlich trotzdem wahr sein. Wir wissen es nur noch nicht. Oder aber es ist Quatsch, auch das ist möglich." Die beiden ungleichen Gestalten schritten voran und verschwanden in der Lichtung, nicht ohne eine gewisse herumgewirbelte Athmosphäre zu hinterlassen.

"Die Herren brauchen Evidenz, also müssen sie berechnen." keckerte eine feine Stimme. Eichhörnchen Erwin hopste neben Eichel auf den Ast, der nun etwas chaotisch auf und ab wippte. Herr Eichel flatterte und fand sein Gleichgewicht wieder. "Ja, so ist es wohl." stimmte er ein. Erwin seufzte: "Aber für alles andere reicht das Spüren" Eichel nickte.

Da reckten beide Waldtiere die Köpfe. Ein leises Tapsen näherte sich. Das kleine Mädchen schien fast lautlos auf dem Laub daherzugleiten. Vor dem Baumstamm setzte sie sich nieder, atmete leise ein und aus und verharrte ansonsten völlig regungslos.

Herr Eichel hüpfte kurz vor Freude. Dann glitt er sanft hinab, kam wenige Meter vor dem Mädchen zum Landen und hopste vorsichtig näher, nicht ohne immer wieder mit schiefem Kopf zu prüfen. Da war sie, die Erdnuss. Überglücklich schnappte sein Schnabel, ein kurzer Blick in die Augen des Mädchens und auf und davon flog er. Erwin nutze den Moment, keckerte und kraxelte schnellen Schrittchens den Baum hinab. Das Mädchen lächelte, blieb aber lautlos und still. Erwin kam nähee, hüpfte über ein Bein. Da war noch eine Nuss! Schwups huschte auch er in den Wald. Das Mädchen verschwand so still wie es gekommen war.

 

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