Emotionsübertragung und -regulation zwischen Mensch und Tier

Veröffentlicht am 30. August 2024 um 23:59

Zwischen Menschen und Tieren können tiefe Bindung und Beziehung bestehen. Soziales Miteinander, auch speziesübergreifend, kann das emotionale Gleichgewicht und das Wohlbefinden fördern. Dabei kommt es zwischen den Individuen zu Prozessen des Emotionstransfers. Dies bedeutet, dass sich die Emotion des einen Individuums, sei es der Mensch oder das Tier, auf das Gegenüber übertragen kann. Wir selbst kennen dies aus stressigen Situationen wie etwa beim Tierarztbesuch, Autofahrten mit dem Tier oder bei plötzlichen lauten Geräuschen. Wer hatte dabei zuerst Angst? Wer hat sich zuerst erschrocken? Oft geschieht dies, ohne dass wir es mitbekommen. Manchmal nehmen wir jedoch wahr, dass sich eine emotionale Regung in unserem Inneren regt und kurz darauf einen anderen Menschen oder ein Tier beeinflusst. Emotionen sind geradezu ansteckend.

In bewussten Momenten liegt hier das Potential zur Regulation, der Beruhigung der mit der Emotion einhergehenden körperlichen Reaktionen. Regulieren wir den Körper, wird die Emotionen nicht weiter befeuert und kann abklingen. Gelingt dies nicht allein, kann manchmal die Anwesenheit eines gelasseneren Gegenübers helfen. Dies nennen wir dann Ko-Regulation. Das wohl bekannteste Beispiel wäre das Beruhigen eines weinenden Kindes durch enge Bezugspersonen wie Eltern oder Verwandte. Auch zwischen Menschen und Tieren kann Koregulation stattfinden und sich gegenseitig beruhigt werden.

Das Wissen über Methoden der Eigen- oder Koregulation ist allerdings oft nicht vorhanden und findet eher intuitiv oder aber unwissend mit wenig geeigneten Techniken statt. Daher sind Kenntnisse über die Emotionsübertragung und -regulation sehr wertvoll. Unabdingbar ist es, eigene Erfahrungen zu machen, selbst in den eigenen Körper zu spüren sowie das Gegenüber, in unserem Fall das Tier, aufmerksam zu beobachten. Es ist wichtig, zu erkennen, wie sehr wir uns gegenseitig beeinflussen. Dabei kann auch bewusst werden, dass es manchmal auch die Tiere sind, die uns koregulieren. Oftmals empfinden wir ihre Anwesenheit beruhigend. Gelingt es uns aber ebenso, sie zu beruhigen?

 

Wie wertvoll die Fähigkeit zu Eigenregulation und innerer Gelassenheit ist, wird deutlich, wenn wir beobachten, dass Tiere oftmals die Nähe von Menschen suchen, die innere Ruhe und Sicherheit vermitteln. Emotionsübertragung ist eine Art körperliche Kommunikation zwischen zwei Individuen. Grundvoraussetzung hierfür ist die mittlerweile wissenschaftlich anerkannte Annahme, dass alle Säugetiere dieselben grundlegenden Emotionen spüren. Diese Basisemotionen, welche wir mit Tieren teilen, haben den gleichen Ursprung in tiefen Regionen des Gehirns. Man nimmt an, dass Individuen mit gleichgeformten Hirnstrukturen dieselben Wahrnehmungen haben. Diese geschichtlich alten Strukturen erhalten äußere und innere Sinneseindrücke (Reize) und wanden sie in körperliche Empfindungen um, was wir dann Emotionen nennen.

Findet daraufhin eine gedankliche Wertung in in gut oder schlecht statt, wandelt sich die Emotion in ein Gefühl. Der Übergang ist dabei fließend, oftmals unbewusst. Die Definition von Emotion und Gefühl wird vielerorts durcheinandergeworfen, was wiederum verdeutlicht, wie wenig wir eigentlich hierüber wissen, obwohl es uns tagtäglich selbst betrifft.

 

Zusammenfassung:

Reiz --> körperlich spürbare Emotion --> bewusste oder unbewusste Bewertung --> Reizantwort zum Abbau der Spannung und Widerherstellung eines Ausgangsgleichgewichts

 

Um von einer aktivierten Emotion wieder in den Ausgangszustand zu kommen, braucht es regulierende Prozesse. Kann sich ein Individuum selbst wieder in diesen Ausgangzustand begeben, spricht man von gesunder Regulierungsfähigkeit. In Beziehungen kann ein Individuum dem anderen bei der Regulierung von ausgeprägten Emotionen helfen. Man spricht dann von Koregulation.

Die Fähigkeit zur Eigenregulation kann geschwächt sein. Insbesondere frühe, wiederholte oder plötzliche Trennungserfahrungen in Beziehungen schwächen die Fähigkeit zur Eigenregulation. Dann kann es vorkommen, dass das Nervensystem auf starke Emotionen unangemessen reagiert. Es kommt zur Dysregulation.

Gesunde Beziehungen können unterstützend und koregulierend wirken. Leidet jedoch das Gefühl von Bindung oder Sicherheit, indem beispielsweise ein Partner den anderen noch mehr aus dem Gleichgewicht bringt, anstatt ihn zur Basis zurückzuhelfen, verstärkt sich die Dysregulation. Das Wissen um die Potentiale zur gegenseitigen Koregulatione sowie die Gefahr der ungesunden Dysregulation ist noch nicht sehr verbreitet. Noch weniger wissen Menschen über diese Prozesse in der Interaktion mit Tieren, obgleich es auch hier zur gegenseitigen Regulatierung oder aber destabilisierenden Dysregulation kommen kann.

 

Wissenschaftliche Studien über Bindung und autonome (eigenständige) Regulation über den Vagusnerv argumentieren, dass das Bedürfnis, sich mit anderen zu verbinden, sowohl für Menschen als auch für soziale Tiere angeboren ist. Der Prozess der Emotionsregulation wird dabei durch Interaktionen reguliert.

Bei gut funktionierender Koregulierung werden die Emotionen beider Individuen im Laufe der Zeit gemildert und kehren auf das Basisgleichgewicht zurück. Ko-Dysregulation hingegen bedeutet, dass die Emotionen beider Individuen verstärkt werden und sich vom Ausgangsgleichgewicht sogar noch entfernen.

Wiederholte Erfahrungen von Ko-Dysregulation führen zu Schwierigkeiten beim Aufbau einer guten Beziehung. Dies kann sogar zum Abbruch von Bindungen führen. Wiederholte Erfahrungen von Dysregulation in jungen Jahren führen später zu einer verminderten Fähigkeit, auf Reize angemessen zu reagieren. Die Anpassungsfähigkeit ist vermindert. Im Gegensatz dazu führt die Erfahrung von Koregulation durch förderliche Interaktionen zu Gefühlen von emotionaler Sicherheit und Vertrauen. Dies befriedigt das Grundbedürfnis sozialer Wesen und trägt zu ihrem Wohlbefinden bei.

Auch Erfahrungen von Dysregulation können durch gesunde Beziehungen und förderliche Erfahrungen, aufgrund der Fähigkeit des Gehirns zur Umstrukturierung (Neuroplastizität), später nachgeholt werden. Je nach Ausprägung der Dysregulation kann dies jedoch unterschiedlich gut gelingen und wird multifaktoriell beeinflusst.

 

 

 

Quellen:

  • Leconstant C, Spitz E. Integrative Model of Human-Animal Interactions: A One Health-One Welfare Systemic Approach to Studying HAI. Front Vet Sci. 2022 Jul 29;9:656833. doi: 10.3389/fvets.2022.656833 . PMID: 35968006 ; PMCID: PMC9372562.
  • Sbarra DA, Hazan C. Coregulation, dysregulation, self-regulation: an integrative analysis and empirical agenda for understanding adult attachment, separation, loss, and recovery. Pers Soc Psychol Rev. 2008 May;12(2):141-67. doi: 10.1177/1088868308315702 . PMID: 18453476

 


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