Zweistein flatterte aufgeregt auf und ab. Hoch oben auf der großen Lerche vor dem Forschungsinstut hatte er sich platziert und wartete auf den ihm bekannten Doktoranten, der heimlich das Fenster öffnete. Zweistein sah nun weiter unten die Haupttür des Instituts öffnen. Zwei anerkannte, weißhaarige Professoren glitten hinaus gefolgt von einigen jüngeren Wissenschaftlern, die sich aufgeregt gestikulierend unterhielten. Das war Zweisteins Zeichen. Wie jeden Mittwoch blieb der fleißige Doktorand länger, um noch ein wenig für seine Versuche zu recherchieren. So behauptete er jedenfalls gegenüber seinen Kollegen. In Wirklichkeit öffnete er, wie auch jetzt, das Fenster der Mäuseexperimenten-Einheit und wartete auf Zweistein. Elegant schwebte der Waldkauz durch die Luft und landete neben den verschränkten Armen des jungen Mannes, der die frische Herbstluft in seine Lunge einatmete. "Ach Käuzchen", seufzte er. Dieser hüpfte aufmunternd auf und ab. Der Doktorand lächelte. "Weißt du, als ich hier anfing, war ich so hochmotiviert. Ich wollte Forscher werden, um den Menschen zu zeigen, wie gefühlvoll und sensibel Tiere sind. Zu viele Menschen denken immernoch, Tiere hätten keine Gefühle und nur der Mensch würde Liebe empfinden. Dabei sehen sie gar nicht, was um sie herum wirklich geschieht, dass Tiere mit ihnen Freundschaften schließen, freiwillig bei ihnen sind. Selbst ihr Wildtiere, ihr wollt zwar nicht immer etwas mit uns zu tun haben und das ist ok. Wenn ihr aber doch Interesse an uns zeigt, etwa wie du Zweistein, der freiwillig meine Gesellschaft schätzt, da werde ich ganz demütig und dankbar." Zweistein ließ ein zustimmendes "Wuhuuu" erklingen. Der junge Mann fuhr fort: "Aber hier scheint keiner Tiere als sensible Wesen und Mitgeschöpfe anzusehen. Sie sind nur Labortiere, an denen geforscht wird. Oft heißt es, es seien nur Mäuse, die lebten eh nicht lange und in der Natur würden sie doch auch getötet." Der junge Mann sah Zweistein an und redete weiter:"Da draußen und in der Nacht fängst und tötes auch du Mäuse,, das ist mir bewusst. Trotzdem ist das irgendwie ok." Zweistein sah den jungen Mann direkt an, "Ja genau", sagte er, "sie sind meine Nahrung, ich brauche sie und ich bin sehr dankbar, wenn ich durch das Leben einer Maus selbst leben kann. Ich kann dir nicht sagen warum, aber so ist unser Kreislauf und es ist ok. Wenn ich satt bin, tue ich den kleinen Tieren nichts an und das spüren sie." Der junge Mann nickte, "Siehst du, es ist etwas ganz anderes als das, was wir hier machen. Keine Maus verlässt das Labor lebend. Ob ihr Tod und ihr Leid aber anderem Leben hilft, das bezweifle ich mittlerweile so sehr. Ich habe dieses Institut extra ausgewählt, weil es hieß, sie erforschen das Verhalten von Tieren und dies würde dazu beitragen, das Miteinander von Mensch und Tier zu fördern. Aber sag, macht es wirklich Sinn, dass wir mit Labormäusen meditieren, bis sie uns vertrauen, um dadurch beweisen zu wollen, wie empfindsam sie sind? Warum kann man das nicht an Haustiere und außerhalb des Labors untersuchen? Und weißt du, was das schlimmste ist?" Zweistein legte fragend seinen Vogelkopf schief und lauschte. "Wenn die Mäuse uns vertrauen, dann bauen wir eine richtige Beziehung auf, ich zumindest. Einigen anderen Doktoranten geht es glaube ich nicht so, aber bei denen klappt es auch nicht so mit dem Meditieren. Wenn unsere Versuche beendet sind oder die Maus schon krank und alt, dann..." der junge Mann seufzte, "...dann müssen wir sie töten. Keine Maus darf das Labor verlassen, weil sie eine spezielle genetische Zucht für Forschungslabore sind. Das heißt, sie haben nie das warme Sonnenlicht, den Hebstwind oder gar den Geruch von Erde kennen gelernt. Ihr ganzes Leben ist Leid und am Ende töten wir sie. Und glaub mir, wenn die Maus am Lebensende sogar einen Funken Lebensfreude durch unsere gemeinsame Meditation spüren, dann ist sie noch verwirrter, wenn sie getötet wird. Zweistein, es ist so grausam. Und weißt du, wie unser Professor dies rechtfertigt? Er sagt, seine Absicht ist, dass auch Forscher mitbekommen, wie sensibel Mäuse sind." Zweistein legte den Kopf auf die andere Seite und schnaubte, "So? Aber, wieso muss man das im Tierversuch machen? Die können doch auch einfach bei uns im Wald meditieren. Wir sind doch direkt vor der Tür?" Der Doktorand nickte: "Weißt du, ich vermute, es geht eher um etwas ganz anderes. Ich habe das Gefühl, es geht darum, um jeden Preis bweisen zu wollen, dass ihre Meditation funktioniert. Dann bekämen sie so richtig Aufmerksamkeit. Der Professor meint zwar, seine Absicht sei das Wohl der Tiere und solange die Absicht stimme, denn diese sei das Wichtigste, solange wird alles den richtigen Weg finden. Aber er sieht nicht, wie viele Menschen in vermeintlich guter Absicht schon Gräultaten vollbracht haben. Und wie gesagt, ich vermute es geht hier auch um Anerkennung."
Zweistein flatterte auf die Schulter des Doktoranten und gurrte in dessen Ohr: "Institut FFE...hmm...steht für Friede, Freude, Eierkuchen oder? Das passt irgendwie nicht zusammen. Sag mal, warum sind hier eigentlich in letzter Zeit so viele Bauarbeiter, die das Institut von Außen mit Watte verkleiden?" Der junge Mann musste zum ersten Mal schmunzeln. "Die Watte, die ist gegen den Wind, der immer heftiger gegen die Fassade bläst. Hast du auch bemerkt, dass sie noch ein bisschen Glitzer drüber gekippt haben?"
Der kleine Waldkauz verabschiedete sich von dem jungen Mann im weißen Kittel, der nun das Fenster der Experimentiereinheit schloss. Etwas schwerer als sonst fiel es ihm, da die Watte an der Außenwand etwas hinderlich war. Mit einem lauten Rums lies es sich endlich schließen. Dabei flog ein wenig Glitzer durch die Luft, welche Zweistein mit den Flügeln nun aufwirbeltelte. Lautlos glitt er duch den Nachthimmel. Er wollte sofort zu seinem Freund Herbert, solange dieser noch wach war.
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