Kapitel 13: Die Schule der stillen Begegnung

Veröffentlicht am 18. Oktober 2024 um 23:32

Der Duft der Herbstblätter vermischte sich mit dem frühen Nebel, welcher noch vor dem Wald hing. Kaum wahrzunehmen schritt die kleine Menschentraube langsam voran. Einen Fuß vor den anderen setzend, ruhig atmend und mit allen Sinnen geöffnet betraten sie den Waldweg. Sie gingen über das feuchte Laub, was kaum hörbar war. Die Tier des Waldes nahmen die Menschen dennoch wahr. Es war still. Alle waren gespannt, die Menschen wie die Tiere. Auf der Waldlichtung legten sie die gut gepolsterten Kissen nieder und setzten sich regungslos hin, ein jeder an seinen Platz. Dann nahmen sie wahr. Nicht-Meditation stand heute auf dem Stundenplan der Schule der stillen Begegnung.

 

Nichts geschah und das für eine spürbar unendlich lange Weile.

 

Da absolut nichts zu passieren schien, entspannte sich das kleine Kaninchen. Kein auf seinen Körper  gerichteter Geist, welcher sich gleich auf sie stürzen würde, war zu spüren. So traute es sich hinaus. Es hoppelte vorsichtig vorbei an einer Gestalt im weißen Kittel. Dann sprang es über das Bein eines jungen Mannes. Vor einem Himbeerstrauch saßen zwei Kinder und schauten es an. Kurz blieb das Kaninchen stehen, schnupperte in die Luft und spürte erneut. Dann entschloss es, dass es ok war und reckte sich zu den verlockenden Beeren. Die Kinder atmeten sanft durch und verharrten regungslos. 

Plötzlich schoss das Kaninchen mit einem hohen Sprung in die Hohe und verschwand im Dickicht. Ein rhythmisches Tapsen und Schnaufen war zu vernehmen. Alle Menschen blieben still und nahmen weiter wahr. Das Tapsen wurde lauter, wie auch das Stöhnen. Doch plötzlich hielt der Jogger inne, schaute in die Runde und lachte laut. Der Wald blieb still.

"Was ist das denn hier? Wer seid ihr? Eine neue Sekte im Laborkittel?" Der sportlich gekleidete und verschwitzte Mann kicherte: "Oder wieder so eine neue Gruppe Sinnsuchender in Mitlifekrise? Lasst mich raten, ihr habt für das Herumsitzen einen Haufen Geld bezahlt?" Richard konnte nun ein Grinsen nicht unterdrücken. "Wir sind Wissenschaftler" flüsterte er dem Jogger zu. Dieser schaute nun vollends verblüfft. "Sachen gibts", sagte er, " Na gut, so ein verrückter gemischter Haufen wie ihr, das können nur Spinner oder Wissenschaftler sein." Er grinste und wollte gerade zum Weiterlaufen ansetzen, da schaute Tommi ihn an und sagte etwas lauter, da die Stille gerade sowieso unstill war: "Kommen sie doch dazu! Machen sie mit! Wann haben sie schon die Gelegenheit, bei einem einmaligen Forschungsprojekt dabei zu sein?" Der Mann mit den Sportschuhen zuckte mit den Schultern: "Warum nicht? Na gut." Monika holte eine Decke aus ihrem Rucksack und reichte sie ihm. Er setzte sich nieder. "Und jetzt? Was muss ich tun?" "Nichts!" Lächelte der junge Mann im weißen Kittel, ein Mitarbeiter der Kleintierklinik, der spontan von dem Ausflug erfahren hatte. Zeit zum Umziehen hatte er nicht gehabt und so saß er im weißen Gewand auf einem Kissen mitten im Wald. Der Jogger neben ihm schaute verdutzt, aber irgendwie merkte er, dass dies ein ganz besonderer Moment werden könnte.

 

Herr Eichel saß auf seinem Ast, auf dem er jeden Morgen die kräuterreiche Wiese auf Leckereien absuchte. Im Schutze des Baumes fühlte er sich sicher und ragte den Kopf weiter hervor. Wo war nur das Mädchen, was die letzten Tage die leckeren Erdnüsse vorbei brachte? Herr Eichel beschloss, noch ein wenig zu warten, solange eben, wie sein hungriger Vogelmagen es zuließ.

Eichhörnchen Erwin hopste neben Eichel auf den Ast, der nun etwas chaotisch auf und ab wippte. Herr Eichel flatterte und fand sein Gleichgewicht wieder. 

Da reckten beide Waldtiere die Köpfe. Ein leises Tapsen näherte sich. Das kleine Mädchen schien fast lautlos auf dem Laub daherzugleiten. Vor dem Baumstamm setzte sie sich nieder, atmete leise ein und aus und verharrte ansonsten völlig regungslos.

Herr Eichel hüpfte kurz vor Freude. Dann glitt er sanft hinab, kam wenige Meter vor dem Mädchen zum Landen und hopste vorsichtig näher, nicht ohne immer wieder mit schiefem Kopf zu prüfen. Da war sie, die Erdnuss. Aber nein, heute war es keine Erdnuss! Eine Himbeere lag vor ihm, rot und saftig, wie er sie am liebsten mochte! Überglücklich schnappte sein Schnabel, ein kurzer Blick in die Augen des Mädchens und auf und davon flog er. Erwin nutze den Moment, keckerte und kraxelte schnellen Schrittchens den Baum hinab. Das Mädchen lächelte, blieb aber lautlos und still. Erwin kam näher, hüpfte über ein Bein. Da war noch eine Himbeere! Schwups huschte auch er in den Wald. Das Mädchen verschwand so still wie es gekommen war.

 

Die Schule der stillen Begegnung, sie ist überall, in einem Buch, einer Geschichte oder genau dort, wo wir gerade sind. Wo bist du gerade?

 

ENDE dieser Geschichte

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